Erinnerung an damals

Erinnerung an damals Lesezeit: ca. 2 Minuten Gehüllt in einen dicken, grauen Wollmantel ging er mit seiner dunkelbraun glänzenden Aktentasche die Straße entlang. Es war der 24. Dezember. Im hellen Schein der Straßenlaternen spiegelte sich der nasse Fußweg. "Wieder keine weiße Weihnacht…", dachte Paul. Ein Auto fuhr vorüber und spritzte Regenwasser auf seine schwarzen Lackschuhe und den Saum seiner maßgeschneiderten Anzughose. Er seufzte entnervt, blickte zuerst auf seine verschmutzte Kleidung und dann auf seine silberne Uhr. "Wieder bin ich erst spät bei meiner Familie…", dachte er sich. Er hob nun den Blick von der Uhr und schaute in die Gesichter der Passanten, die ihm auf der geschäftigen Straße entgegenkamen. Gehetzt sahen sie aus. Mit bleichen Gesichtern eilten sie, genau wie er, nach Haus. Einer telefonierte hektisch und gestikulierte wild. Seine Augen waren dunkel und sein Haar bereits nass vom Regenschauer. Ein anderer zog sich seine Mütze tief ins Gesicht und zog sich Kopfhörer über die Ohren. Als Pauls Weg seinen kreuzte, bemerkte er den dröhnenden Bass von Technomusik aus den Kopfhörern des Jungen. Er war höchstens sechzehn Jahre als gewesen. Aus der Ferne schallte das Lachen eines kleinen Mädchens. Paul erblickte es, als es mit seiner Mutter um die Ecke bog. Die Mutter beschimpfte das Mädchen mit lauter Stimme: "Nicht rumalbern! Wir müssen uns jetzt beeilen - Oma wartet schon! Immer dasselbe mit dir!" Paul schüttelte den Kopf. Komisch, heute soll wirklich Weihnachten sein? Bestimmt liegt ein großes Geschenk für das Mädchen unter dem Weihnachtsbaum der Oma. Vielleicht bereitet es ihm eine ganze Weile viel Freude. Vielleicht liegt es aber auch schon nach kurzer Zeit in der Ecke, so wie bei Pauls eigenen Kindern.

Schließlich kam Paul am Parkplatz an, in dem sein Auto stand. Er zog seinen Autoschlüssel aus seiner Jackentasche und hielt inne. In einem schlecht beleuchteten Seitenarm der Straße saß auf einer kleinen Matte ein Mann im Schneidersitz unter dem Vorsprung einer Mauer, der ihn notdürftig trocken gehalten hatte. Der Mann hatte graue Bartstoppeln und seine beige Jacke war eigentlich viel zu dünn für diese Jahreszeit. Paul fielen zahlreiche Flicken auf der Jacke auf und, dass der Mann zwei unterschiedliche Schuhe trug. Auf dem Schoß des Mannes lag ein kleiner weißer Hund mit braunen Flecken. Der Hund hatte die Augen geschlossen und er hechelte fröhlich, als der Mann ihm am Ohr kraulte. Vor dem Mann stand auf einer kleinen Pappkiste ein winziger Weihnachtsbaum aus Plastik. Daneben stand eine Kerze, die schon vor geraumer Zeit mit dem einsetzenden Regen erloschen sein musste. Der Mann summte mit einem weichen Lächeln im Gesicht ein Lied. Es erinnerte Paul an eine Zeit, die schon lange hinter ihm lag. Es war eine Zeit vor seiner Beförderung, vor dem Kauf des Appartements und lange bevor er überhaupt in die Stadt gezogen war. Er schloss kurz die Augen, hielt unweigerlich inne und sah das Gesicht seiner Mutter vor sich, die Nüsse und Orangen in eine Schale legte. Er schreckte aus seinen Gedanken auf, räusperte sich, stieg in sein Auto ein und fuhr schnell davon.

Autor: weihnachtsgeschichte.biz

Mehr Weihnachtsgeschichten zum Nachdenken